LG Dachau protestiert:

Die Geduld der Lagergemeinschaft Dachau, 1946 von ehemaligen KZ-Häftlingen gegründet, ist erschöpft: „Wir sind sehr empört“, sagen der Shoah-Überlebende Ernst Grube, der 90-Jährige ist Präsident der Lagergemeinschaft, und sein Vize Jürgen Müller-Hohagen. Sie wollen den „verwirr Umgang von Landes- und Bundesbehörden mit dem derzeitigen Förderantrag der KZ-Gedenkstätte Dachau“ für ein 35,7-Millionen-Projekt nicht länger hinnehmen. Im Grunde wäre es ein-fach: Bayern will die Hälfte der Kosten tragen, der Bund soll die zweite Hälfte übernehmen. Doch die zuständige Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) schweigt. Mittlerweile sind seit der Antragstellung fünf Monate vergangen, der Antrag ist offenbar abgelehnt worden, aber in Bayern wartet man noch immer auf einen definitiven Bescheid aus Berlin – unterdessen werden jedoch bereits erste Schuldzuweisungen vom Bund an den Freistaat laut. Die Lagergemeinschaft sieht darin ein unwürdiges Spektakel. „Alles zieht sich hin, einer schiebt es dem anderen zu, es wird beruhigt, beschwichtigt“, erklären Gru-be und sein Vize. „In einem Land, in dem innerhalb von nur fünf Monaten Gas-Terminals geplant und errichtet werden können, mutet das jahrelange Gerangel um den Ausbau und die Sicherung der Gedenkstätte Dachau einfach absurd an.“ Seit Jahren verfolgen sie mit wachsendem Unmut die politischen Diskussionen über die Zukunft der KZ-Gedenkstätte Dachau, die sich stets vor allem ums Gelddrehen. Und das gegenwärtige Verwirrspiel reihe sich ein in das jahrelange unselige Hin und Her zwischen Dachau und dem Freistaat hinsichtlich des sogenannten Kräutergartens, der sich schon lange in einem noch beklagenswerteren Zustand befindet. Grube erinnert auch an das historische Gebäude des Krematoriums, das bei großer Schneelast einzustürzen droht und nur notdürftig stabilisiert worden ist. Oder an den KZ-Friedhof mit den sterblichen Überresten von mehr als 7000 NS-Opfern auf dem Leitenberg, der abzurutschen droht. Überraschend hatte sich vor Kurzem der SPD-Politiker Michael Schrodi, Bundestagsabgeordneterdes Wahlkreises Dachau/Fürstenfeldbruck, in die Debatte eingemischt. Er kritisierte zwar die Kom-munikation der Kulturstaatsministerin als „nicht ganz glücklich“, gab ihr aber in der Sache Recht und teilte einen Seitenhieb auf die bayerische Staatsregierung aus. Wie könne das zuständige Kultusministerium einen Förderantrag auf fast 18 Millionen Euro stellen, wenn der Fördertopf für Gedenk-stättenprojekte nur ein Volumen von fünf Millionen Euro habe? Außerdem finanziere der Bund keine Maßnahmen zur Erhaltung der historischen Bausubstanz, das sei Sache der Länder, erklärte Schrodi. Dem widersprach das Kultusministerium und verwies auf die Förderrichtlinien in der Fortschreibung des Bundesgedenkstättenkonzepts von 2008. In seiner jetzigen Form, so Schrodi, werde der Förderantrag jedoch nicht genehmigt. Aber der Politiker habe bereitsmit allen Beteiligten gesprochen, dass der Antrag abgeschichtet werden müsse. Kultusministeriumund Gedenkstättenstiftung sagen dazu nichts, weil sie immer noch nicht schriftlich informiert worden sind. Die Lagergemeinschaft hat es satt, und Präsident Grube stellt die zentrale Frage: „Wo ist wirklich ein übergreifen der Wille zur Veränderung unhaltbarer Zustände in diesem Feld? Erinnerungskultur, auf die man so stolz verweist, kostet nun einmal.“ Ein Sprecher der Kulturstaatsministerin Roth erklärt auf SZ-Anfrage: „Für Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat die erinnerungskulturelle Arbeit der KZ-Gedenkstätten Dachau und auch Flossenbürg eine sehr große Bedeutung.“ Der Bund fördere die KZ-Gedenkstätten Flossenbürg und Dachau 2023 institutionell mit 1,536 Millionen Euro, darüber hinaus unterstütze er zahlreiche weitere erinnerungskulturelle Projekte in Bayern in erheblichem Umfang. „Ihre Behörde arbeitet mit Hochdruck daran, auch für die noch offenen Fragen gute und tragfähige Lösungen zu finden“, schreibt Roths Sprecher: „Dabei hofft sie, dass man hier auch mit dem Land Bayern in Sinne des gemeinsamen, so wichtigen Anliegens, den Bestand und die Arbeit der KZ-Gedenkstätten Dachau und Flossenbürg zu sichern und weiter zu stärken, auf einer an der Sache orientierten Basis zusammenarbeiten und zu- sammenkommen kann.“ Die Sache: die Sanierung der beiden rekonstruierten, unter Denkmalschutz stehenden Häftlingsbaracken, der Aufbau einer neuen Ausstellung und eines Lernlabors für die Besucher. Daneben geht es noch um Lagerflächen für die wachsende Objektesammlung der Gedenkstätte und Raum für das Archiv – das alles ist der grundlegende erste Schritt in der geplanten Neugestaltung der neben Auschwitz bedeutendsten KZ-Gedenkstätte mit jährlich fast einer Million Besucher. Die Lagergemeinschaft Dachau ist neben den Franzosen die gewichtigste Stimme im Comité International de Dachau (CID), das sich 1955 wieder gegründet hat. Bereits am 29. April 1945, dem Tag der Befreiung des Konzentrationslagers durch US-Truppen, hatte ein internationales Häftlingskomitee seine Arbeit aufgenommen. Die Lagergemeinschaft und ihr damaliger Vorsitzender, der Dachau Überlebende Otto Kohlhofer, hat mit dem CID die Schaffung einer Gedenkstätte auf dem Boden des ehemaligen Konzentrationslagers mit mehr als 200 000 Gefangenen aus mehr als 40 Nationen erst durchgesetzt – gegen den Willen der Politik und der Bevölkerung. Der Vertrag mit der Staatsregierung räumt dem CID, einzigartig in der Bundesrepublik Deutschland, weitreichende Befugnisse ein, etwa ein Vetorecht bei der Besetzung der Gedenkstättenleitung. „Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen“ – auf das erklärte Leitmotiv des Bundes für seine Erinnerungspolitik will die Lagergemeinschaft Dachau nicht mehr bauen. „Im Namen der Lagergemeinschaft Dachau in der Bundesrepublik Deutschland, die dem Vermächtnis der ermordeten und der überlebenden Häftlinge verpflichtet ist“, protestieren Grube und Müller-Hohagen gegen diese, wie sie es nennen, „untragbaren Verhältnisse“, auf die sie stoßen, wenn sie die deutsche Erinnerungskultur genauer unter die Lupe nehmen.