Ernst Grube erhält Ehrenpreis

Das Präsidium der Lagergemeinschaft Dachau freut sich zusammen mit Ernst Grube zur Verleihung dieses Bürgerpreises – Herzlichen Glückwunsch!

Hier der Text der Laudatio und der Text der Rede von Ernst:

Laudation von Frau Dr. Mirjam Zadoff (Direktorin des NS-Dokuzentrums in München)

Meine sehr verehrten Damen und Herrn,

gemeinsam mit meinem Kollegen Thomas Rink habe ich jetzt die große Freude, die Laudatio für einen ganz besonderen Mann zu sprechen – ein Mann, dem dieses Haus, diese Stadt und dieses Land Vieles zu verdanken haben.

Ernst Grube erhält für sein unermüdliches gesellschaftliches Engagement den Ehrenpreis der Stiftung „Münchner Bürgerpreis für Demokratie – gegen Vergessen“. Dieser Preis zeichnet Menschen aus, die sich (Zitat) „gegen undemokratische Strukturen, Organisationen und Entwicklungen auf ganz individuelle Weise zur Wehr setzen, die für Schwache eintreten, welche selbst keine Stimme haben, und die rechtsextremen Tendenzen entgegentreten.“ (zitat Enden) Ich gratuliere von Herzen – denn, lieber, geschätzter Ernst Grube, Sie haben diese Auszeichnung in ganz besonderem Maße verdient!

Was für eine Lebensgeschichte!  Am 13. Dezember 1932 wurde Ernst Grube in München geboren; seine Mutter kam aus einer strenggläubigen jüdischen Familie und war von Beruf Krankenschwester. Der Vater, Malermeister, war evangelisch aufgewachsen – beide Eltern waren nun Kommunisten. Die Familie lebte in einer Wohnung der jüdischen Gemeinde direkt neben der Hauptsynagoge. Als im Juni 1938 die Synagoge abgerissen wurde, kündigte die Stadt der Familie die Wohnung. Doch der Vater wehrte sich, konnte sich, anders als die jüdischen Nachbarn, durchsetzen: Die Familie durfte bleiben, wenn auch unter schwierigsten Bedingungen. Kurz vor dem Novemberpogrom brachten die Eltern den 5-jährigen Ernst, seinen 8-jährigen Bruder Werner und seine – nur vier Monate alte Schwester – Ruth im jüdischen Kinderheim in der Antonienstraße unter.

Die nächsten Jahre mussten die Geschwister getrennt von den Eltern leben. Nach Schließung des Heims wurden sie 1942 in die sog. „Judenlager“ Milbertshofen und Berg am Laim gebracht; ab 1943 lebten sie wieder bei den Eltern, in ständig wechselnden Wohnungen. Da der nichtjüdische Vater sich weigerte, dem konstanten Druck nachzugeben, sich von der jüdischen Mutter scheiden zu lassen, blieben Ernst, seine Geschwister und seine Mutter als sog. „Geltungsjuden“ lange von der Deportation verschont – bis zum Februar 1945. Damals wurde der zwölfjährige Ernst zusammen mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Das Überleben war die Ausnahme – Ernst Grube erlebte diese Ausnahme: Am 8. Mai wurde das Lager befreit – Ernst umarmte den ersten Rotarmisten, den er zu Gesicht bekam.

Zurück in München machte Ernst Grube eine Lehre zum Malermeister, holte auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nach, wurde Berufsschullehrer. Er protestierte gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands und engagierte sich politisch in der FDJ, der Gewerkschaft und der KPD. 1954 nahm er an einer Demonstration teil – es ging um Ladenschlusszeiten – und wurde verhaftet. Er verbrachte sieben Monate im Gefängnis. Wenige Jahre später wurde er wegen einer Flugblattaktion für die illegale KPD wieder verhaftet, wieder verurteilt. Diesmal verbrachte er neun Monate im Gefängnis – vier davon in Isolationshaft in einer Zelle, die kaum einen Meter breit war.

Anfang der 1970er Jahre erhielt er schließlich auch noch Berufsverbot. Bei einem Gespräch im Rathaus legte er seinen Judenstern auf den Tisch – das Berufsverbot wurde wenig später zurückgenommen. „Die Nazis haben mich schon verhaftet, und dann passiert dasselbe in der Republik Adenauers.“, so kommentiert Ernst Grube seine Erfahrungen.

Heute ist er Mitglied in zahlreichen Gremien von Erinnerungseinrichtungen, er ist Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau und Sprecher des Landesvorstands Bayern der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, einer Vereinigung, die unter dem Vorwurf des „Linksextremismus“ vom Verfassungsschutz beobachtet wird, und der vor kurzem unter dem gleichen Vorwand die Gemeinnützigkeit entzogen worden war. 2010 war auch Ernst Grube namentlich als Linksextremist im Verfassungsschutzbericht erwähnt wurden. Der Vorwurf: Er nütze als Linksextremist seine Arbeit in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes aus, um kommunistische Ziele zu propagieren. „Ich erlebe im weiteren Sinn eine Form der Ausgrenzung“, so kommentiert er selbst diese Groteske. Aus dem Bericht wurde er 2011 nach heftigem öffentlichem Protest wieder gestrichen.

Seit Jahrzehnten engagiert sich Ernst Grube für eine lebendige Erinnerungskultur. Sein großes Anliegen ist ihm die persönliche Begegnung. Unermüdlich erzählt er in Schulen und außerschulischen Bildungseinrichtungen von seiner Lebensgeschichte und seinen Verfolgungserfahrungen, um die Erinnerung an die NS-Verbrechen wach zu halten.

Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir könnten keinen besseren Lehrer für unsere Kinder haben – und für uns selbst. Denn von Ernst Grube lernen wir etwas, das rar und selten ist: Er macht uns aufmerksam auf die Bedeutung und Relevanz des Vergangenen für ein solidarisches Zusammenleben im Heute und in der Zukunft.

Es waren Überlebende wie er, die ungeachtet ihrer Traumata und Verletzungen, nach 1945 widerständig ihre Geschichten erzählten – widerständig, da keiner Ihnen zuhörte. An zentralen Stellen der Nachkriegs-BRD saßen weiterhin die damals noch gar nicht so alten Nazis – während die Überlebenden um Anerkennung, um Wiedergutmachung, um einen Platz in dieser Gesellschaft kämpfen mussten, und im Fall der Kommunist*innen unter ihnen, auch gegen die Ausgrenzung als Folge der Logik des kalten Krieges.

Ernst Grubes klare Positionierung gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und gegen jede Form von Ausgrenzung, Krieg und Gewalt, lehrt uns, dass Erinnerung auch heute noch widerständig sein muss, wenn sie nicht zum sinnentleerten ‚Nie wieder‘ geraten will.

Denn wenn das passiert, wenn Kränze niedergelegt und Betroffenheit vorgegeben werden, aber in den Parlamenten voll Härte entschieden wird, Menschen auf der Flucht an den Grenzen Europas zum Tod zu verurteilen, dann meldet Ernst Grube sich zu Wort, und ich zitiere: „Da reden wir von Menschenrechten und gestatten es doch, dass sie auf allen Ebenen verletzt werden.“ 

Bescheiden, mutig, politisch klar geht es ihm immer um gesellschaftliche Solidarität. Nach den Anschlägen auf die Synagoge von Halle vor zwei Jahren forderte er, der Staat müsse härter durchgreifen, um rechtsextremes Denken und Handeln aufzuhalten, denn <Zitat> „Der rechte Terror betrifft ja nicht nur uns Juden, er betrifft ja auch Muslime, Sinti und Roma, Zugewanderte, die längst Staatsbürger sind, Migranten, Flüchtlinge, um nur einige zu nennen. Und demokratisch Aktive aus allen Spektren. Wenn ich dann höre, dass sich Flüchtlinge oder auch hier geborene Menschen mit muslimischem Hintergrund in Sachsen zum Teil nicht mehr trauen, ihre Kinder auf Spielplätze zu schicken oder nachts auf die Straße zu gehen, das bedrückt mich schon sehr.“ <Zitat Ende>

Es ist dieser Idealismus, der Ernst Grube einreiht in die Tradition der jüdischen Revolutionäre des 20. Jahrhunderts – mit ihnen verbindet ihn die Überzeugung, dass die Welt durch solidarisches Handeln gerettet werden kann – auch wenn man selbst die schlimmsten Verletzungen erlebt hat.

Vor zehn Jahren, im November 2011 besuchten Ernst Grube und seine Frau jene Orte, an die Münchner Juden deportiert wurden. Sie reisten ins ehemalige KZ Theresienstadt und nach Piaski in Polen, wo Ernsts Tante Rosa ermordet wurde. Die letzte Station der emotional aufwühlenden Reise war Kaunas – der Ort, an dem Ernsts Freundin Anita und die anderen Kinder aus dem Heim in der Antonienstraße ermordet wurden.

Wenn Ernst Grube sich mit Schülerinnen und Schülern trifft – hier im Haus im Seminarraum im 5. Stock, oder wie seit einiger Zeit auch digital – lässt er sich diese großen Verwundungen nicht anmerken: fröhlich und zugewandt geht er auf junge Menschen zu; immer neugierig, immer offen für neue Wege, das Vergangene mit dem Heute zu verknüpfen – seien es volumetrische Interviews und VR-Brillen oder Tanztheater-Projekte von Jugendlichen, die seine Geschichte und seine Person in ihre Mitte nehmen.

Über diese besondere Seite seiner Persönlichkeit, über die beeindruckenden Erfahrungen der jüngeren Generation in Zeitzeugengesprächen, darüber berichtet nun Thomas Rink aus langjähriger Zusammenarbeit im zweiten Teil unserer Laudatio.

Rede von Ernst Grube:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Reiter, liebe Frau Zadoff, lieber Thomas, liebe Jury Mitglieder, liebe Gäste,
Ich danke Ihnen für die Verleihung des Bürgerpreises „für Demokratie – gegen Vergessen“.
Sie anerkennen damit meine Tätigkeit im Bereich der Erinnerungsarbeit als wichtigen, lebendigen Bestandteil demokratischen Lebens. Geehrt sind dadurch auch all diejenigen Menschen, mit deren Unterstützung und mit denen zusammen ichdiese Erinnerungsarbeit mache. Erinnerungskultur, wie heute Aufklärung über die NS-Verbrechen genannt wird, war und ist eine sehr anstrengende aber notwendige Aufgabe.
Die Shoah und der beispiellose Raub- und Vernichtungskrieg von Nazi-Deutschland im Osten, gegen die Sowjetunion, der die Shoah erst ermöglicht hat, – diese Verbrechen waren lange Zeit tabu, ebenso der Widerstand gegen das NS-Regime. Die Bewußtmachung der größten Menschheitsverbrechen und deren Folgen für unser aktuelles gesellschaftspolitisches Handeln ist nach wie vor umkämpft. Wenn ich zurück denke an meine Erlebnisse in den Jahren1949/1950 so trauerten die meisten Bürger*innen damals eher der Nazizeit und dem verlorenen Krieg nach.
Von den Verbrechen der Nazis gegen uns Juden, gegen politisch Widerständige, die in den KZs eingesperrt und gefoltert worden waren, wollten sie nichts wissen.
Kommunisten und anderen aktiven Antifaschisten wurde von der die Verbrechen beschweigenden Mehrheit und ihren Eliten ein berechtigtes Interesse abgesprochen. Die aktiven Antifaschisten setzten sich fur eine Gesellschaft gemäß den Postdamer Beschlüssen ein, in der nicht die Förderer und Profiteure von Faschismus und Krieg weiter bestimmenden Einfluß haben sollten. Als Kriegs- und Atomwaffengegner haben sie sich gegen den Aufbau eines neuen Militärs gewehrt, in der die ehemaligen Generäle der faschistischen Wehrmacht das Sagen hatten. Sie haben die Wiederkehr ehemaliger Nazis in ihre alten Funktionen bekämpft, und oft haben sie dafür wie ich Gefängnishaft und gesellschaftliche Ächtung riskiert.
Unsere Verfolgungserfahrungen, unsere Verletzungen und Verluste zählten nicht, bestenfalls waren sie anstößig. Darüber sprachen wir nur in kleinen Kreisen, unter uns.
Geehrt wurde damals niemand aus unseren Reihen.
Über mehrere Jahrzehnte hat sich diese Situation nicht geändert. Im Gegenteil. Die KPD wurde verboten. Auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) sollte 1962 verboten werden, was jedoch nicht gelang. Der der beklagte Vertreter der VVN machte zur Eröffnung des Prozesses bekannt, dass der zuständige Senatspräsident Prof. Dr. Werner ein leidenschaftlicher Nazi, früh bei der SA und dann bei der NSDAP organisiert war. Das internationale Renommee spielte eine Rolle, so wurde dieser Prozess abgebrochen.
Der Vorwurf, dass die Kommunisten keine Demokraten seien, ist bis heute geblieben.
Das hat mir beinahe den beruflichen Weg als Lehrer versperrt.
Die VVN-BdA wird immer noch in ihrer Aktivität verleumdet und eingeschränkt.
Der Verfassungsschutz beobachtet die VVN, in Bayern ist ihr nach wie vor die Gemeinnützigkeit genommen.
Inzwischen ist das Jahrzehnte dauernde Ringen um die Errichtung von dauerhaften Aufklärungsorten wie des Jugendgästehauses in Dachau, heute Max- Mannheimer – Studienzentrum oder auch des NSDokumentationszentrum selbst schon Geschichte.
Anfang der 80 ziger Jahre haben ehemalige Häftlinge wie z.B. Otto Kohlhofer, Eugen Kessler, Adi Maislinger, Herrmann Langbein, Nicolaus Lehner, Marie Luise Jahn, Max Mannheimer …und ich begonnen internationale Jugendbegegnungen – u.a. in Form von Zeltlagern – durchzuführen. 1981 bildeten wir eine Initiativgruppe für die Errichtung einer „Internationalen Jugendbegegnungstätte Dachau“.
Wir ehemals Verfolgten wollten unsere Erfahrungen weitergeben und das in einem Treffen tun, das durch seinen internationalen Charakter schon selbst ein Stück Programm war: das Zusammenkommen von jungen Menschen aus Ländern, die von Faschismus und Krieg angegriffen worden waren und deren Bevölkerung unter den Verbrechen noch immer leidet.
Nie wieder sollten Nationalismus und Militarismus, Antisemitismus und Rassismus Menschen gegeneinander aufbringen und sie zu Tätern an anderen Menschen und Völkern machen.
Doch als Zeltlager – ohne Unterstützung durch die Stadt Dachau, den Landkreis oder staatliche Stellen – war das immer ein Provisorium.
Oft wußten wir erst in letzter Minute, wo die Zelte für die jugendlichen Teilnehmer aufgeschlagen werden konnten, weil uns kein Platz zur Verfügung stand.
1984 gründeten wir den „Förderverein Internationale Jugendbegegnungstätte Dachau“. Dieses Vorhaben, das zum Teil breite Unterstützung fand, stieß jedoch auf den erbitterten Widerstand der Dachauer CSU, die im Stadtrat das Vorhaben ablehnte. 1986 konstituierte sich daher ein Kuratorium mit prominenten Persönlichkeiten. Unter Ihnen war auch Frau Hamm-Brücher, die mit ihrer souveränen, unerschrockenen Art und mit Tatkraft unser Vorhaben gegen solche Blockaden mit voran gebracht hat. So kam ich damals mit Hildegard Hamm-Brücher, der Stifterin dieses Preises, zusammen. Aus jüdischen familiären Zusammenhängen kommend, hatte sie selbst Verfolgung und Bedrohung erlebt. Sie war in lockerem Kontakt mit Studierenden um die Weiße Rose gewesen. Angesichts rasant wachsender ökonomischer Ungleichheit heute in unserem Land und weltweit, angesichts von Ausbeutung von Mensch und Natur in einem nie da gewesenen Ausmaß, von gigantischer Aufrüstung und verheerenden Kriegen, so dass zur Zeit über 70 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind, erinnere ich an eine Aussage aus dem 5. Flugblatt der Weißen Rose :
„Jedes Volk, jeder einzelne hat ein Recht auf die Güter dieser Erde“.
Ich danke Ihnen für diese Preisverleihung.