90. Jahrestag der Eröffnung des KZ Dachau

In besonderer Erinnerung an Martin Grünwiedl

Einer der eindringlichsten und mutigsten Zeugen über die frühe Zeit des KZ Dachau war Martin Grünwiedl (1901 – 1987), nach 1945 Mitglied unserer Lagergemeinschaft.

In einem unveröffentlichten Interview mit den VVN-Kameraden Feuerer und Mühldorfer aus dem Jahr 1977 berichtete er in knappen Worten über seine Verfolgung durch die Nazis. Das begann damit, dass er im Zusammenhang mit der braunen Machtübernahme in Bayern am 10. März 1933 inhaftiert wurde. Ins KZ Dachau kam er dann an dessen erstem Tag, dem 22. März 1933, von der Haftanstalt Landsberg aus.

Zunächst bewachte die Landpolizei das Lager. Wegen ihrer Uniformen wurde sie die „grüne Polizei“ genannt. Unter ihr ging es noch einigermaßen menschlich zu. Furchtbar wurde es, als nach wenigen Wochen die SS das Kommando übernahm.

Genau über dieses Schreckensregiment hat Martin Grünwiedl einen Bericht geschrieben. Er machte das nach seiner Entlassung, die im Februar 1934 vor allem dank des enormen Einsatzes seiner Frau Resi erfolgte.

Unter Lebensgefahr hat er zusammen mit Kameraden 650 Exemplare illegal hergestellt und bis ins Ausland verteilt. Der Bericht wurde mit Absicht so geschrieben, dass Martin Grünwiedl möglichst nicht als Autor zu erkennen war. In seinem Titel heißt es daher im Plural „Dachauer Gefangene erzählen…“ In Wirklichkeit aber war er es allein. Nur die Einleitung und der politische Ausblick stammten von seinem Schulfreund, dem Redakteur Sebastian Watzal.

Sich diesen Text vor Augen zu führen, erfüllt mit Grausen. Ohne Angabe der jeweiligen Misshandlungen gedenken wir der von Martin Grünwiedl ausdrücklich genannten Ermordeten aus der Anfangszeit des KZ: dreizehn jüdische Häftlinge, die Genossen Lehrburger (Nürnberg), Fruth, Stenzer, Götz (alle München), Bürk (Memmingen) und Landtagsabgeordneter Dressel. Auch Gefangene aus dem furchtbaren Arrest sind, ohne Namen zu nennen, aufgeführt.

Martin Grünwiedl wurde erneut verhaftet, doch konnte man ihm die Autorschaft an dem Bericht nicht nachweisen. Trotzdem kam er erneut nach Dachau und wurde schwer misshandelt. Wieder gelang es schließlich seiner Frau, ihn freizubekommen.

Für Hans-Günter Richardi mit seinem bahnbrechenden Buch „Schule der Gewalt“ von 1983 war ein langes Interview, das er am 29. 12. 1980 mit Martin Grünwiedl führte, eine wichtige Grundlage. Er erinnert sich noch heute, in welch großer Sorge Martin Grünwiedl damals war, die immensen Verbrechen der Nazis könnten „vergessen“ werden.
Deshalb begrüßte er es außerordentlich, dass seine Erfahrungen dokumentiert wurden. Ernst Antoni, aus einer Widerstandsfamilie stammend und seit den achtziger Jahren Präsidiumsmitglied der Lagergemeinschaft Dachau, hat Martin Grünwiedl dort erlebt und auch schon vorher im Rahmen der VVN. Seinen Bericht hatte er bereits in den siebziger Jahren gelesen und war davon tief beeindruckt. Er erinnert sich an ihn als einen Mann, der sich nicht in den Vordergrund schob und immer bereit war mitzuhelfen, wo etwas gebraucht wurde.

Die Folgen seiner langen KZ-Haft (von 1933 bis 1934 zweimal in Dachau, von 1939 bis 1945 in Buchenwald) hätte man ihm wohl anmerken können, aber er war immer aktiv.

Josef Pröll, der Martin Grünwiedl ebenfalls oft begegnet ist, äußert sich so: „Ich habe Martin als einen netten und freundlichen Menschen erlebt. Er war einer der ersten unter den ehemaligen Häftlingen, der regelmäßig Führungen in der Gedenkstätte gehalten hat. Resi und Martin waren eng mit meinen Eltern befreundet. Ich habe Martin nur in guter Erinnerung, er war nie von Hass geprägt. Er konnte seine Erfahrungen, die er während des Naziregimes machen musste, sehr gut an jüngere Menschen weitergeben.“
Jürgen Müller-Hohagen